Doch am 1. Oktober 1938 marschierte Hitler in die Tschechoslowakei ein, und Anni erhielt eine Absage vom Troppauer Theaterdirektor mit der Begründung, dass sie von den deutschen Behörden keine Arbeitserlaubnis erhalten dürfte. Da saß sie nun mit einem tschechischen Pass, der nicht mehr viel wert war, in Mainz, und ärgerte sich, dass sie ein Angebot aus Basel für eine Vertretung abgelehnt hatte, um in Troppau nicht vertragsbrüchig zu werden.
Anni Eisler-Lehmann musste so die Pogromnacht vom 9. November 1938 in ihrer Heimatstadt miterleben.
Die junge Sängerin versuchte weiterhin im Ausland ein Engagement zu erhalten. Sie wollte Erich Kleiber vorsingen, der vom Teatro Colon in Buenos Aires gerade auf Tournee in Europa war. Nach einigen Absagen anderer Konsulate gelang es ihr, ein Visum für Monte Carlo zu erhalten, wo Kleiber sie im Januar 1939 zum Vorsingen erwartete. Leider konnte er wegen des drohenden Kriegsausbruches keine weitere Altistin für Argentinien verpflichten, aber durch einen glücklichen Zufall hatte Direktor Pittmann sie gehört und engagierte Anni Eisler-Lehmann für ein Konzert in Monte Carlo, das von Rafael Kubelik dirigiert wurde.
Danach blieb Anni Lehmann in Frankreich und nahm bei einer russischen Jüdin eine illegale Au-pair-Stelle an und verbrachte trotz der ständigen Angst vor der Fremdenpolizei eine heitere Zeit in der Gesellschaft von Emigranten und Künstlern.
Ein Konzert in Vichy, das sie mit Freunden im August 1939 vorbereitet hatte, musste abgesagt werden, am 1.September 1939 brach der Krieg aus. Im Juni 1940, als die deutschen Truppen in Frankreich einmarschierten, setzte eine panische Flucht bedrohter Menschen nach Süden ein in der Hoffnung von Spanien aus nach Übersee zu kommen. In Périgueux wurde der Exodus gestoppt. Anni Eisler-Lahmen schlug sich dort mit Musikunterricht und gelegentlichen kleinen Konzerten durch. Dann wurden alle Juden registriert - im Ausweis stand nun rot "Juif"- und in Zwangswohnsitzen zusammengefasst.
Im September 1942 hat Anni über Freunde in Bern erfahren, dass ihre Mutter und ihr Bruder nach Theresienstadt "umgesiedelt" worden sind. Ihr Bruder Alfred starb vier Wochen später, 39 Jahre alt, im Lager. Von der Mutter kamen noch wenige Lebenszeichen über das Rote Kreuz. Sie "verhungerte" im Mai 1944 im KZ.
Anni Eisler-Lehmann wurde im Oktober 1942 in das Internierungslager Nexon und dann nach Rivesaltes transportiert, später in das berüchtigte Lager Gurs in den Pyrenäen Sie entwickelte dort eine eigene Überlebensstrategie und versuchte sich durch Selbstdisziplin am Leben zu erhalten.
Sie beteiligte sich an den vom Roten Kreuz organisierten Lagerkonzerten. Die Partien, die sie früher auf deutschen Bühnen gesungen hatte, studierte sie nun auf Französisch ein und sang sie für ihre Mithäftlinge.
Ständig drohte der Abtransport in ein deutsches Konzentrationslager in Osteuropa. Über zweitausend Juden - Deutsche, Elsässer und Franzosen - wurden von Gurs aus in die Vernichtungslager nach Polen transportiert.
Als sich der Sieg der Alliierten im Jahre 1944 abzeichnete, durfte Anni aus gesundheitlichen Gründen das Lager verlassen.In ständiger Angst vor den deutschen Truppen auf dem Rückzug schlug sie sich mit Arbeiten bei Bauern und Strümpferepassieren durch.
Nach der Befreiung versuchte sie in Paris einen Neuanfang als Sängerin zu finden. Aber die Hoffnungen auf eine Künstlerkarriere zerschlugen sich schnell, denn viele einheimische arbeitslose Künstler warteten auf Engagements, außerdem wollte das Pariser Publikum nach den bitteren Jahren der deutschen Besetzung keine Sängerin mit deutschem Akzent hören. Ganz nach Deutschland zurückzukehren, konnte sie sich nicht entschließen, und als Staatenlose durfte sie nicht hin- und herreisen.
So übernahm Anni Eisler-Lehmann die Vertretung für eine kleine Lederfabrik in Paris. Ihre frühere kunstgewerbliche Ausbildung kam ihr dabei zugute. Sie fand einen Lebensgefährten und richtete sich auf ein Leben in Frankreich ein.
Eines Tages war es notwendig, sich um den Nachlass der Eltern zu kümmern. Das Haus in der Neustadt war von Bomben zerstört. Als die Stadt Mainz ihr für das Trümmergrundstück einen Spottpreis anbot, erwachte in ihr der Trotz. Das Letzte, was ihr von ihrer Familie und der Heimat geblieben war, wollte sie nicht verlieren, und sie beschloss, das Haus selber wieder aufzubauen.
Seit 1958 lebte sie wieder in Mainz, als eine der wenigen Mainzer Juden, die nach dem Holocaust zurückgekehrt waren.
Nachdem Anni Eisler-Lehmann in mühevoller Arbeit und durch sparsame Lebensweise ihr Elternhaus wieder aufgebaut hatte, entstand die Idee einer Stiftung für junge jüdische Sängerinnen, denen sie zu einer guten Ausbildung verhelfen wollte in der Hoffnung und mit dem Wunsch, dass diese Künstlerinnen an ihrer Stelle eine ungestörte Karriere - in einem friedvollen, demokratischen Deutschland, eingebunden in Europa und in guter Beziehung zu Israel machen können.
Gemeinsam mit dem von ihr berufenen Vorstand begann Anni Eisler-Lehmann im Dezember 1996 mit der Arbeit ihrer Stiftung und lud im März 1997 den Beirat zur Konstituierenden Sitzung ein. Am 27. September 1997 wurde die Stiftung mit einem Geburtstagskonzert im Frankfurter Hof in Anwesenheit vieler Ehrengäste der Öffentlichkeit vorgestellt. Gleichzeitig wurde eine Broschüre über die Stiftung präsentiert.
Mit besonderer Freude und Anteilnahme lernte sie die beiden ersten Stipendiaten kennen, und es entstand eine freundschaftlich- mütterliche Beziehung zu diesen jungen Menschen.
Außerdem war es der Stifterin ein Anliegen, musikalische Projekte in Mainz mit jüdischen Künstlern oder von jüdischen Komponisten zu unterstützen. In der Satzung ihrer Stiftung hat sie auch israelische Institutionen nicht vergessen.
Aus Anlass ihres 95. Geburtstages wurde die Stifterin vom Oberbürgermeister mit der Gutenberg-Plakette, der höchsten kulturellen Auszeichnung der Stadt Mainz, geehrt. am 11.11.1999 verstarb Anni Eisler-Lehmann in ihrem Haus und fand neben ihrem Vater auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in Mainz ihre letzte Ruhestätte.